Mazloum Abdi signalisiert Kampfbereitschaft für erwartete türkische Bodenoffensive im Februar

Mazloum Abdi, Generalkommandeur der SDF, warnte in einem Interview mit Al-Monitor die Türkei vor einer erneuten Bodenoffensive in Nordsyrien und erneuerte seinen Wunsch nach Frieden. Das Interview kam im Hintergrund der Äußerungen des Pressesprechers des türkischen Präsidenten Ibrahim Kalin, der kürzlich sagte, dass eine Bodenoperation in Nordsyrien jederzeit möglich sei. Die Türkei hat bereits mehrere Male in Syrien militärische Offensiven gestartet und hält bis heute breite Teile Nordsyriens besetzt. Seit November letzten Jahres fliegt die Türkei außerdem vermehrt Luftangriffe auf die Region, wobei eine gleichzeitige Bodenoperation ausblieb.

“Wir nehmen die türkischen Drohungen sehr ernst”

Mazloum Abdi sieht in den ständigen Drohungen der Türkei keine leere Rhetorik, sondern hält eine Bodenoffensive für sehr wahrscheinlich. Er sagte: “Wir nehmen die türkischen Drohungen sehr ernst. Wir erwarten einen Angriff im Februar. Die Stadt Kobane ist wegen der symbolischen Bedeutung für die Kurden weltweit ein wahrscheinliches Ziel.” Dabei machte er auch auf die kommenden Wahlen in der Türkei im Juni aufmerksam: “Die Türkei steuert auf die Wahlen zu und wir sind uns bewusst, dass Präsident Erdogan auf nationalistische Unterstützung setzen will. Er glaubt, dass ein erneuter Angriff auf Rojava diesem Zweck dienen kann.”
In der Tat sind militärische Einsätze ein beliebtes Mittel für den Wahlkampf in der Türkei. So konnte die türkische Regierungspartei AKP ihre Stimmen bei den Neuwahlen im November 2015 wieder auf knapp 50% steigern, nachdem sie bei den regulären Wahlen im Juni zuvor knapp 9% der Stimmen verloren hatte. In der Zwischenzeit hatte man die Friedensverhandlungen mit der PKK beendet und wieder den militärischen Kampf aufgenommen. Kurz vor den vorgezogenen Wahlen im Juni 2018 besetzte die Türkei die Region Afrin in Nordsyrien.
Aktuell sind der türkische Präsident Erdogan und seine AKP in einer schwierigen Situation. Die Türkei erlebt eine der schwersten Wirtschaftskrisen ihrer Geschichte mit einer Rekordinflation und ständig fallenden Kurs. Immer mehr Menschen im Land verschulden sich und können sich einfachste Sachen und Lebensmittel nicht mehr leisten. Das schlägt sich auch in den Umfragen wieder, wo die AKP und ihr rechtsextremer Koalitionspartner MHP zusammengerechnet auf nur 35-40 % der Stimmen kommen. So werden in der Türkei, wo der Großteil der Medien entweder gleichgeschaltet worden sind oder einer Medienzensur unterliegen, wieder die Kriegstrommeln geschlagen, was für Mazloum Abdi der Grund seiner Annahme einer bevorstehenden Invasion ist.

“Wir sind keine Gefahr für die Türkei”

“Wir stellen weder für die Türkei noch für ihre Bürger, ihre Grenzen oder ihre nationale Sicherheit keinerlei Gefahr dar. Wir als syrische Kurden, die SDF oder die Selbstverwaltung wollen friedliche Beziehungen mit der Türkei”, erklärte Abdi im Hinblick auf die Darstellung durch die türkische Regierung und den türkischen Medien weiter. “Wir haben die Türkei seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien nie angegriffen, sondern haben innerhalb Syriens nur Selbstverteidigung ausgeübt, als wir angegriffen worden sind. Wir haben keine feindlichen Absichten, weder jetzt noch in der Zukunft.”

“Wir sind mit der Zukunft Syriens und ihrer Menschen beschäftigt”

Er sieht in den türkischen Behauptungen einen Versuch
sie als Sündenböcke für die Verfehlungen der Türkei, ihre eigene Kurdenproblematik zu lösen, darzustellen. Er sagte weiter: “Ich bin syrischer Kurde. Meine Zukunft liegt in diesem Land. Wir versuchen ein demokratisches pluralistisches System in Nordostsyrien zu etablieren und dieses System für ganz Syrien zu etablieren. Wir sind mit Syrien beschäftigt und der Zukunft aller Menschen in Syrien.”
Abdi sieht die Region und die Errungenschaften infolge der gesteigerten türkischen Aggressionen als gefährdet an: “Die Türkei attackiert die zivile Infrastruktur und verursacht große Schäden. Das ist ein neues Level an Eskalation, mit dem Ziel, unsere Selbstverwaltung zu zerstören. Die Türkei muss aufhören, unsere Leute und Kurden hinter ihren Grenzen dafür zu bestrafen, dass sie das Problem durch demokratische Mittel nicht lösen können.”

“Die USA müssen mehr tun”

Laut Abdi ist ein Abzug amerikanischer Truppen in absehbarer Zeit in weiter Ferne. Die Türkei forderte die USA mehrmals auf, ihre Truppen aus Nordsyrien abzuziehen. Beobachter sehen darin einen Versuch, freie Bahn für eine gänzlich Intervention in Nordsyrien zu erlangen. Abdi kritisierte jedoch die amerikanische Haltung gegenüber der Türkei: “Die USA stellen sich zwar gegen eine türkische Bodenoffensive, doch die Türkei besteht auf ihre Drohungen. Die amerikanischen Bemühungen sind nicht genug, sie müssen mehr tun.”

“Wir kämpfen, wenn nötig, bis zum Ende”

Mazloum Abdi warnte alle vor den Folgen einer türkischen Offensive, erneuerte jedoch vorher seinen Wunsch nach Frieden:
“Wir wollen Frieden. Aber sollten wir attackiert werden, werden wir mit all unserer Macht kämpfen. Wir sind fest entschlossen, uns bis zum Ende zu wehren. Das wird nicht wie vorher sein, wie in Afrin oder Serekaniye. Die Operationen gegen den Islamischen Staat werden dann auch eingestellt.”

“Das syrische Regime wird nicht von den eigenen Forderungen abkehren”

Der Generalkommandeur der SDF kam auch auf die Annäherung zwischen Damaskus und Ankara zu sprechen: “Während die Türkei bemüht ist, sich dem Assad-Regime anzunähern, fordern sie gleichzeitig, dass sich die USA aus Syrien zurückziehen. Die Türkei versucht mit russischer Vermittlung eine Allianz gegen uns zu schmieden.”
Vor einigen Wochen organisierte Moskau ein Dreier-Treffen zwischen den Verteidigungsministern Russlands, Syriens und der Türkei, um Ankara und Damaskus näherzubringen. Nachdem die Türkei sich jahrelang als Erzfeind des Assad-Regimes präsentierte, ist Ankara jetzt bereit, mit Damaskus zu verhandeln. Für Abdi sind diese türkischen Bemühungen ernst zu nehmen, jedoch sieht er darin auch ein wahltaktisches Manöver der türkischen Regierung, die sich vor allem gegen die Region Nord- und Ostsyriens richtet. Er fügte hinzu: “Die Kurdenproblematik kann nicht mit militärischen Methoden gelöst werden, weder in Syrien noch in der Türkei. Die Lösung liegt in friedlichen und aufrichtigen Gesprächen.”
Er kritisierte Russland dafür, dass es existierende Probleme durch eine Annäherung Türkeis mit Syrien zu lösen versuche und sagte: “Ich glaube nicht, dass das erfolgreich sein wird. Syrien wird niemals von ihren eigenen Forderungen abkehren.”

Quelle: Mazloum Abdi, Generalkommandeur der SDF im Interview mit Al-Monitor.

 

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