Die Region Deir ez-Zor im Osten Syriens erlebt weiterhin schwere Unruhen. Nachdem Ahmad al-Khabil als Kommandeur des Militärrats von Deir ez-Zor, einer mehrheitlich arabischen Teileinheit innerhalb der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), wegen Machtmissbrauchs verhaftet und abgesetzt wurde, überschlagen sich die Ereignisse. Schnell mischten sich Kräfte außerhalb der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (kurz: AANES) in die Geschehnisse in Deir ez-Zor ein und versuchen seitdem für Chaos und Unruhen in der instabilen Region zu sorgen.
Ablenkungsmanöver von den Protesten im Süden Syriens?
Im Mittelpunkt stehen dabei der Iran und das Assad-Regime, die von der Türkei bei ihren Bestrebungen unterstützt werden.
Vor kurzem nahm Elham Ahmad, Ko-Vorsitzende des Demokratischen Rat Syriens (SDC), Stellung zu den Entwicklungen in Deir ez-Zor und warnte vor dem syrischen Regime und pro-iranischen Kräften, die die Unruhen in der Region schüren würden. Sie sagte, dass das Assad-Regime und der Iran die Geschehnisse als einen Konflikt zwischen Arabern und Kurden inszenieren würden, um die Syrer von den Protesten im Süden des Landes abzulenken.
Tatsächlich kommt es seit Wochen zu größeren Protesten im Süden des Landes, das unter der Kontrolle des syrischen Regimes steht. In den Provinzen Daraa und as-Suwayda gingen in mehreren Städten und Dörfern Menschen auf die Straßen, um gegen die immer schlechter werdenden Lebensbedingungen und Wirtschaftssituation zu protestieren. In den letzten Tagen nahm die Intensität der Proteste erstmals seit dem Beginn des Bürgerkriegs zu, sodass die Demonstranten sogar zum Sturz des Assad-Regimes aufriefen. Syriens Wirtschaftskrise ist auch in Zahlen abzulesen. Die syrische Währung verliert im Rekordtempo an Wert, während die Inflation immer weiter in die Höhe schießt und das arme Land weiter verarmen lässt.
Inmitten der steigenden Unzufriedenheit im Land starteten Vertreter des syrischen Regimes und staatliche Medien eine Propaganda-Kampagne gegen die SDF und die AANES. Schnell wurde behauptet, dass es in Deir ez-Zor um einen Konflikt zwischen Arabern und Kurden gehen würde. Die lokalen arabischen Stämme, die von Anfang an gegen das Assad-Regime rebelliert hatten, wurden plötzlich zu stolzen Söhnen Syriens erklärt, die sich gegen die “kurdische Vormundschaft” wehren würden. Elham Ahmad machte auf diesen Umstand aufmerksam und sagte, dass der Iran und das Assad-Regime einen Konflikt über die arabischen Stämme konstruieren würden, um internationale Resonanz zu bekommen. Oberhäupter und Würdenträger der lokalen arabischen Stämme der stark konservativ geprägten Region Deir ez-Zor bekundeten erst kürzlich ihre Solidarität zur SDF und verurteilten die Versuche “Zwietracht zwischen Kurden und Arabern zu säen”, was letztendlich bei den Politikern der syrischen Regierung oder der staatlich gelenkten Medien keine Rolle spielte.
Nawaf al-Bashir: Irans Schlüsselperson in der Region
Bei all diesen Entwicklungen steht ein Name im besonderen Fokus: Nawaf al-Bashir. Nawaf al-Bashir ist einer der Oberhäupter des in Deir ez-Zor ansässigen Stammes der al-Bakara und zugleich Anführer der Miliz der sogenannten ‘Stammes-Löwen’. Die Miliz gilt als syrischer Arm der Iranischen Revolutionsgarden, den Streitkräften des Irans. Ihre Hochburg liegt westlich des Euphrats bei Deir ez-Zor.
Vor einigen Tagen sagte er, dass die Gebiete im Umland von Deir ez-Zor zu einem späteren Zeitpunkt unter die Kontrolle der unzufriedenen Stämme geraten würden. Regierungsinstitutionen würden es dann betreten, um es zu verwalten und die „syrische Souveränität“ über Deir ez-Zor wiederherzustellen. Zwar haben bislang keine Regierungsinstitutionen das Gebiet erreichen können, jedoch zeigten Aufnahmen, wie bewaffnete Kämpfer den Euphrat in Richtung der von der AANES verwalteten Gebiete überquerten, um gegen die SDF zu kämpfen.
Damit nicht genug, soll sich al-Bashir einem Bericht der North Press Agency (NPA) zufolge in der Stadt Hatla in Deir ez-Zor in einem russischen Stützpunkt mit Vertretern von in der Region ansässigen arabischen Stämmen getroffen haben. Laut einem Teilnehmer des Treffens soll er dabei gefordert haben, dass sich die Stämme gegen die SDF und die dort präsente Internationale Koalition bewaffnen.
Lokale Medien berichteten außerdem, dass der Sohn von Nawaf al-Bashir, Laith, persönlich den Euphrat überquert haben soll, um Waffen an die Unruhestifter zu verteilen.
In einem kürzlich geführten Interview mit Target bestätigte Abu Omar al-Idlibi, Kommandeur der Nördlichen Demokratischen Brigade, einer Teileinheit der SDF in Raqqa, die Involvierung von al-Bashir in die Geschehnisse in Deir ez-Zor.
Ein Versuch, die USA aus Syrien zu drängen
Doch die iranischen Bestrebungen im Osten Syriens gehen viel tiefer. In den vergangenen Monaten kam es mehrmals zu militärischen Zwischenfällen von iranischen und US-amerikanischen Kräften, die in der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien stationiert sind und auch in Deir ez-Zor Stützpunkte haben. Die USA kommunizierte die “iranischen Provokationen” öffentlich und warnte vor einer militärischen Eskalation.
Im Rahmen des sogenannten “Astana-Formats” verurteilten die Teilnehmer Russland, Iran, Türkei und Syrien gemeinsam die Präsenz der USA im Osten Syriens, die dort “separatistische Bestrebungen” unterstützen würden. Besonders der Iran drängt zu einem Abzug amerikanischer Truppen aus Syrien und kommuniziert dies auch öffentlich.
Elham Ahmad wies auch auf diesen Punkt hin und sagte, dass ein mögliches Ziel der provozierten Unruhen es sei, amerikanische Truppen zum Abzug aus Syrien zu bewegen. In der iranischen Auffassung der Geschehnisse unterstützt die USA diejenigen Kräfte, die die Araber der Region unterdrücken.
Die Kommandozentrale der US-Truppen in der Region hingegen erklärten gestern ihre weitere Unterstützung für die SDF und riefen zu einem Ende der Auseinandersetzungen auf, wovon nur der IS profitieren würde. Die Unruhestifter wurden in der Erklärung als “bösartige Akteure, die Unheil über die Region bringen wollen”, bezeichnet.
Türkei unterstützt die Unruhen militärisch
Die Geschehnisse in Deir ez-Zor sind auch im Interesse der Türkei. Schließlich führt die Türkei als einziger der Akteure einen vollumfänglichen Krieg gegen die AANES. Gleichzeitig mit den Infiltrationsversuchen in Deir ez-Zor intensivierten oppositionelle Milizen der sogenannten ‘Syrischen Nationalarmee’ (SNA) ihre Angriffe auf die AANES, die von türkischen Bombardements und Drohneneinsätzen unterstützt werden. An mehreren Fronten in Manbidsch, Ain-Issa und Tel Tamr wurden Eroberungsversuche gestartet, die zurückgeschlagen werden konnten. In Manbidsch massakrierten SNA-Einheiten fünf Kinder.
Die Türkei erhöht den Druck auf die nördlichen Verteidigungslinien der SDF, während im Süden bei Deir ez-Zor das syrische Militär Gebiete östlich des Euphrats bombardierte und pro-iranische Kräfte versuchen, die Region zu infiltrieren. Paradox ist allerdings, dass bei den Angriffen der SNA, die aus den Besatzungszonen der Türkei heraus operiert, syrische Soldaten getötet wurden. Die Türkei hat ein starkes Eigeninteresse an den Unruhen in Deir ez-Zor und unterstützt diese mit ihren Mitteln. Der Iran, das Assad-Regime und die Türkei, die gegensätzliche Interessen zu haben scheinen, vereinen bezüglich des Ostens Syriens ihre Kräfte. Trotz der intensiven Versuche, die Region ins Chaos zu stürzen, konnte die instabile Region sich bislang behaupten.