Vereitelter Anschlag des Islamischen Staates (IS) in Wien: Warum die Prozesse gegen den IS in Nord- und Ostsyrien mehr Unterstützung brauchen
Die österreichischen Behörden erklärten am Sonntag, dass sie am Samstag einen vermutlichen Terroranschlag auf die Regenbogenparade in Wien vereitelt hätten. Omar Haijawi-Pirchner, Chef des österreichischen Staatsschutz DSN, erklärte, dass nach intensiver Überwachung und Ermittlungen drei junge Männer im Alter zwischen 14 und 20 Jahren festgenommen wurden. Es habe konkrete Vorzeichen für einen terroristischen Anschlag auf die Regenbogenparade mit Fahrzeugen und Messern gegeben. Darüber hinaus hätten die Ermittler bei Razzien verschiedene Waffen und Datenträger sicherstellen können.
Diskurs über Zuwanderung, statt effektive Bekämpfung der Gefahren
Nun wird erneut intensiv über die Gefahren des extremen Islamismus diskutiert. In Europa, wo es nach den Krisen der letzten Jahre einen Rechtsruck zu spüren gibt, wird dabei erneut über Zuwanderung und Migration als Gefahr diskutiert. In Österreich sind die rechten und konservativen Kräfte im Aufwind, die rechte FPÖ laut Umfragen sogar stärkste Partei. Der Vorfall in Wien kommt den Gegnern der Zuwanderung ganz gelegen.
Doch dabei könnten die Länder Europas konkrete Schritte unternehmen, um die Gefahren des islamistischen Terrorismus einzudämmen und diesen abseits der Debatte um die Zuwanderung effektiv zu bekämpfen. Die drei Männer sind laut Haijawi-Pirchner Sympathisanten der Terrororganisation “Islamischer Staat (IS)”. Der Terror des IS wütete in seiner Hochphase von 2014 bis 2018 in der ganzen Welt und insbesondere in Europa. Der IS wurde zwar danach entscheidend geschwächt, ist jedoch nach wie vor in der Lage zuzuschlagen. Der Vorfall in Wien war eine Erinnerung daran, dass die Gefahr noch nicht gebannt ist.
Die “tickende Zeitbombe” in Nord- und Ostsyrien
Im Gegenteil sogar versucht sich die Terrororganisation wiederzubeleben und steigert ihre Aktivitäten. Die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), die im Kampf gegen den IS die Hauptlast am Boden getragen hatte und 2019 den IS letztendlich militärisch besiegte, warnt seit Jahren vor diesem Problem, ohne wirkliches Echo.
Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) beherbergt seit der militärischen Zerschlagung des IS 2019 mehr als 60.000 Mitglieder und Anhänger der Organisation in provisorischen Camps und Gefängnissen. Darunter sind auch knapp 2000 ausländische Kämpfer, von denen ein Großteil aus Europa stammt.
Immer wieder kommt es Befreiungs- und Ausbruchsversuchen von IS-Terroristen. Anfang 2022 stürmten hunderte Kämpfer ein Gefängnis bei der Stadt al-Hassaka mit mehr als 3000 inhaftierten IS-Terroristen und versuchten diese zu befreien. Nur unter großer Mühe und vielen Verlusten schaffte es die SDF letztendlich diesen Versuch zu stoppen. Die überfüllten Camps und Gefängnisse stellen eine permanente Gefahr dar. In ihnen wächst eine neue Generation heran, die nichts anderes als die radikale Ideologie des IS und die umgebenden Mauern gesehen hat.
Kaum internationale Beachtung für das IS-Problem
Die SDF wird bei ihrem fortgesetzten Kampf gegen den IS, hauptsächlich von den USA unterstützt, die mit knapp 900 Soldaten in der Region stationiert sind.
Doch auch die USA tun, abgesehen von der militärischen Hilfe, wenig, um den IS-Terror wirksam zu bekämpfen. Die Region der AANES wird ständig von türkischen Bomben und Drohnenangriffen getroffen. In den letzten zwei Wochen starben mehr als 20 Menschen bei solchen Angriffen. Die ständigen Angriffe und die permanente Gefahr einer weiteren türkischen Militäroffensive wirkt sich negativ auf die Bekämpfung des IS aus. Dennoch mahnt oder stoppt die USA, trotz Aufrufe der Partner vor Ort, die Türkei nicht vor diesen Angriffen. Obwohl in den Camps und Gefängnissen der Region eine permanente überregionale Gefahr lauert, lässt die internationale Gemeinschaft die Region mit dem Problem alleine.
Prozesse gegen den IS: Nicht im Interesse Europas?
So ist es nun auch bei den angekündigten Gerichtsverfahren gegen ausländische IS-Mitglieder in Nord- und Ostsyrien. Seit 2019 gab es noch keine Gerichtsverfahren gegen die inhaftierten Mitglieder und Angehörige des IS. Trotz zahlreicher Bemühungen um eine gemeinsame Lösung, wie zum Beispiel einer internationalen Gerichtsbarkeit, wurden die Appelle aus der AANES nicht erhört. So finden nun eigene Gerichtsverfahren statt, die dem Zustand der Straflosigkeit ein Ende setzen und für Gerechtigkeit sorgen sollen.
Die AANES lud die Herkunftsländer der Terroristen sowie die Vereinten Nationen und NGOs zur Teilnahme und Mitwirkung auf. Die Kapazitäten der Region sind bereits überlastet und die anstehenden Gerichtsprozesse werden noch mehr Kraft erfordern. Die rechtlichen Rahmen, Inhaftierung oder Rehabilitierung sind Fragen, die eine gemeinsame Anstrengung benötigen. Außerdem sind vermutlich viele Inhaftierte an Anschlägen in Europa und anderswo beteiligt gewesen. Es müsste im Interesse der betroffenen Staaten sein, diese Taten für die Gerechtigkeit ihrer Bürger aufzuklären und die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Schließlich könnten die inhaftierten Mitglieder eines Tages wieder zurück in ihrem Land sein. Spätestens wenn es soweit ist, wird sich die Öffentlichkeit die Frage stellen müssen, ob sie genug gegen die potenzielle Gefahr getan haben. Wien war nur eine Mahnung an die europäischen Gemeinschaften, dass solange dieses Problem nicht an der Wurzel gepackt wird, immer bestehen bleiben wird.