Wie ein Kriegsverbrecher aus Syrien Karriere in der Türkei macht

Abu Hatem Shaqra, ein höchst umstrittener Kommandeur der syrisch-islamistischen Oppositionsgruppe ‘Ahrar al-Sharqiya’, graduierte kürzlich an einer türkischen Universität in der Provinz Mardin (kurd. Mêrdîn). Wie der Journalist Ferid Demirel am Donnerstag auf Bianet berichtete, hatte Shaqra sich unter dem Namen Ahmed Ihsan Fayyad al-Hayes zum Studium der Politikwissenschaft an der Universität eingeschrieben. Bei der Abschlussfeier an der Artuklu Universität posierten Shaqra und eine Gruppe von etwa 20 Personen mit der Flagge der Syrischen Nationalarmee, besser bekannt als Freie Syrische Armee (FSA).

Shaqra nahm als Mitglied der Ahrar al-Sharqiya-Miliz an türkischen Militäroperationen in Nordsyrien teil. Die Miliz ist in weiten Teilen des von der Türkei besetzten Nordsyrien aktiv und wird militärisch und finanziell von Ankara unterstützt. Von den Vereinten Nationen wegen Kriegsverbrechen angeklagt, war er für die Hinrichtung des kurdischen Politikers Hevrin Xelef im Herbst 2019 verantwortlich. Xelef wurde während der türkischen Invasion von Gire Spi und Serekaniye in Nordsyrien am 9. Oktober 2019 auf dem Weg nach Ain Issa von Militanten der Ahrar al-Sharqiya gefoltert und getötet. Die Kriegsverbrecher veröffentlichten später Videos des brutalen Mordes.

Die USA hatten Ahrar al-Sharqiya sowie Shaqra selbst, den damaligen Anführer der fundamentalistischen Organisation, wegen direkter Beteiligung an vielen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch die Miliz sanktioniert. Nach Angaben des US-Finanzministeriums war Shaqra auch am Handel mit ezdischen Frauen und Kindern beteiligt, unter anderem auch mit Mitgliedern des Islamischen Staates (IS). Die islamistische Organisation nahm an hochrangigen Treffen mit türkisch unterstützten Gruppen in Syrien teil und wurde von türkisch unterstützten Kräften im besetzten Efrîn ausgezeichnet. In Efrîn, das seit mehr als 5 Jahren schon besetzt ist, findet vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine beispiellose demografische Verschiebung statt. Durch die Vertreibung der kurdischen Einheimischen der Region, sank der Anteil der Kurden von über 90 % auf mittlerweile 30 % an der Bevölkerung. Menschenrechtsverletzungen und Gewalt sind in den türkischen Besatzungszonen vielfach dokumentiert und an der Tagesordnung, wobei auch die Ahrar al-Sharqiya ihren Teil dazu beiträgt. Noch im März dieses Jahres ermordete die Miliz in Jindires bei Efrîn vier Kurden, die das Neujahrsfest Newroz begehen wollten.

Der Kriegsverbrecher Shaqra wurde auch bei einem Treffen der von der Türkei unterstützten Nationalen Koalition für syrische Opposition und Revolutionäre Kräfte am 23. November 2020 gesehen. In einer Erklärung, die auf der offiziellen Webseite der Koalition veröffentlicht wurde, wurde Shaqra auf einem Foto gesehen, das von einem Treffen der Koalitionsmitglieder zusammen mit dem Koalitionspräsidenten Nasser al-Heriri und anderen Mitgliedern veröffentlicht wurde.

Der Fall Shaqra ist eins von vielen Beispielen für die fragwürdige politische Agenda der Türkei in Syrien. Dieser Fall zeigt jedoch ganz klar, wie die türkische Regierung sich im syrischen Konflikt positioniert hat. International geächtete Kriegsverbrecher können ungehindert Karriere in der Türkei machen, während die internationale Gemeinschaft sich angesichts der türkischen Haltung weiterhin in Schweigen bemüht. Obwohl sich die Türkei vor Jahren verpflichtete als Schutzmacht im syrischen Idlib die terroristische Hayyat Tahrir ash-Sham (HTS) zu bekämpfen, ließ sie den Nachfolger der syrischen al-Qaida zur dominierenden Kraft in der Region werden, die mittlerweile auch in den türkischen Besatzungszonen wie Efrîn aktiv ist. Außerdem sind in den Reihen der bewaffneten Oppositionsgruppen, die die Türkei direkt unterstützt, viele Ex-Kämpfer und Gesuchte der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Immer wieder kommt es außerdem zu militärischen Operationen der US-geführten Anti-IS-Koalition in den türkischen Besatzungszonen, wo hochrangige Anführer des IS ausgeschaltet werden. Dennoch wird weder die illegale türkische Invasion von Nordsyrien sanktioniert noch die türkische Unterstützung von Kriegsverbrechern oder die Verbrechen in ihren besetzten Gebieten selbst. Dieses doppelgesichtige Verhalten der internationalen “Wertegemeinschaft” ermutigt die Türkei weiterzumachen, auf Kosten der Zivilbevölkerung von Nord- und Ostsyrien.

 

 

 

 

 

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