Die Pressefreiheit in der Türkei ist am Tiefpunkt angelangt

Am Welttag der Pressefreiheit veröffentlichte Reporter ohne Grenzen (RSF) den World Press Freedom Index 2023. Es wurde ein kurzes Video veröffentlicht, in dem Rebecca Vincent, Direktorin für Operationen und Kampagnen von RSF, den Stand der Pressefreiheit auf der ganzen Welt skizziert. Vincent weist darauf hin, dass der Index eine enorme Volatilität aufweist, mit starken Auf- und Abstiegen und beispiellosen Veränderungen. Der Index, der auf der Website des RSF veröffentlicht wurde, stellt fest, dass das Umfeld und die Arbeitsbedingungen für Journalismus in 7 von 10 Ländern problematisch sind. Eines dieser Länder ist die Türkei.

Der Bericht beschreibt die Situation in der Türkei wie folgt: „Die ‚Hyperpräsidentschaft‘ von Recep Tayyip Erdogan hat ihre Angriffe auf Journalisten verstärkt, um die Aufmerksamkeit vom wirtschaftlichen und demokratischen Niedergang des Landes abzulenken und seine politische Basis im Vorfeld der Wahlen 2023 zu stärken.“ Die Türkei hat sich im Vergleich zum letzten Jahr um 16 Plätze verschlechtert. Mittlerweile rangiert sie auf Platz 165 von 180 Ländern. Das Land stieg von der Kategorie “schwierig” in die Kategorie “sehr ernst” des RSF-Index ab, und der Druck auf die Journalisten nahm vor den Wahlen am 14. Mai zu. Dem Bericht zufolge betrifft der türkische Staat auch den Journalismus in Syrien: „Syrien, das auf Platz 175 ist, bleibt eines der gefährlichsten Länder der Welt für Journalisten, die im Kreuzfeuer zwischen Baschar al-Assads mörderischer Armee, Milizen und türkischen Interventionen gefangen sind.“

Der Bericht konstatiert, dass „der Autoritarismus in der Türkei an Boden gewinnt und den Medienpluralismus in Frage stellt“. Weiter heißt es, dass alle möglichen Mittel eingesetzt werden, um Kritiker zu verstummen und dass die türkische Regierung 90 % der nationalen Medien kontrolliert. Auch die Gewalt gegen Journalisten, die das regierende AKP-MHP-Bündnis kritisieren, hat seit den Kommunalwahlen 2019 zugenommen.

Pressefreiheit in der 20-jährigen Herrschaft der AKP

Am 10. Januar, dem ‘Tag der arbeitenden Journalisten’ in der Türkei, präsentierte Yüksel Mansur Kilinc, Istanbuler Abgeordneter der Oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), einen Bericht über die Situation der Medien während der 20-jährigen Herrschaft der AKP. Wie RSF erklärte auch Kilinc: „Fast 90 Prozent der nationalen Fernsehsender stehen unter der Kontrolle des Palastes.“ Palast ist in der Türkei ein Synonym für die Herrschaft des türkischen Präsidenten Erdogans, der seit 2014 in einem aufwändig erbauten Präsidentschaftskomplex residiert. Fast die Hälfte der 1800 nationalen und lokalen Zeitungen, die im Land veröffentlicht wurden, wurden während der AKP-Herrschaft geschlossen. Kilinc fügte hinzu, dass mindestens 12.000 Medienarbeiter arbeitslos seien und die Arbeitslosenquote im Mediensektor 40 Prozent erreicht habe. Darüber hinaus hat das kürzlich verabschiedete Desinformationsgesetz auch den Druck auf die sozialen Medien und Internet-Medien erhöht.

Ein weiteres Forschungsergebnis, das die Situation der Pressearbeiter aufzeigt, wurde im Pressefreiheitsbericht 2022 des CHP-Abgeordneten Utku Çakırözer aus der Stadt Eskişehir vermerkt. Dem Bericht zufolge erschienen 2022 fast jeden Monat mindestens 50 Journalisten vor Gericht. Mehr als 100 Journalisten sind Opfer von Behinderung der Berichterstattung und körperlicher Gewalt geworden. 2013 kam der “Report of Arrested Journalists, World’s Largest Journalist Prison: Türkiye” der CHP zu dem Schluss, dass die Situation im Land noch schlimmer sei als während des Putsches vom September 1980, als 31 Journalisten inhaftiert wurden.

Angriff auf kurdische Journalisten

Auch das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) gab am 2. Mai eine Erklärung heraus, in der festgestellt wird, dass im Vorfeld der türkischen Wahlen weitere Journalisten festgenommen und in Gewahrsam genommen werden. Der Erklärung zufolge werden kurdische Medien mit Vorwürfen von Verbindungen zur PKK ins Visier genommen. Die meisten Journalisten, die kürzlich bei einem großangelegten Polizeieinsatz verhaftet wurden, arbeiteten auch für die kurdische Presse. Die Mezopotamya Agentur veröffentlichte am Welttag der Pressefreiheit einen Artikel mit der Überschrift „34 Journalisten wurden in den letzten 11 Monaten inhaftiert“.

Die Anvisierung kurdischer Journalisten durch die türkischen Behörden ist keine neue Entwicklung. Laut dem Medienüberwachungsbericht des Portals Bianet April-Mai-Juni 2014 waren 14 der 23 im Juli 2014 inhaftierten Journalisten kurdische Journalisten. Im Bericht des Folgejahres wurde festgestellt, dass 13 der 24 inhaftierten Journalisten aus den kurdischen Medien stammten. Während die Zahl der inhaftierten Journalisten während des im Juli 2014 begonnenen Friedensprozesses zurückging, stieg sie nach 2015 wieder an, als der Prozess beendet wurde. Das RSF veröffentlichte am 25. April ebenfalls einen Bericht über die Verhaftung von kurdischen Journalisten und forderte ihre sofortige Freilassung. “Es ist offensichtlich, dass dies ein politisches Manöver ist, um die prokurdischen Medien zu eliminieren und die oppositionellen Parteien vor den Wahlen zu destabilisieren”, erklärte Erol Onderoglu von der RSF. Der Bericht machte außerdem darauf aufmerksam, dass seit Mitte 2022 bereits 25 kurdische Journalisten inhaftiert worden seien.

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