Der nie endende Prozess von Pınar Seleks Fall
Im Juli 1998 kam es auf dem Gewürzbasar in Istanbul zu einer Explosion. Bei der heftigen Explosion starben sieben Menschen, darunter ein Tourist und zwei Kinder, und 120 Menschen wurden verletzt. Obwohl nach dem Vorfall eine Untersuchung des Terroranschlags eingeleitet wurde, waren Experten der Ansicht, dass die Explosion durch ein Gasleck in den Zylindern verursacht wurde. Trotz dessen läuft der Fall der Soziologin Pınar Selek, die seit 1998 der Involvierung bei der Explosion beschuldigt wird, weiter. Am 31. März fand in Istanbul eine neue Anhörung ihres Falls statt. Das Gericht beschloss, die im Januar dieses Jahres ausgestellte Red Notice für Selek zu erneuern. Es wurde auch entschieden, dass Seleks Aussage von den französischen Behörden aufgenommen wird. Der Prozess wird auf den 29. September vertagt.
An der Anhörung nahmen französische Abgeordnete, der stellvertretende Bürgermeister von Straßburg, Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei (CHP), der Arbeiterpartei der Türkei (TIP) und der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Menschenrechtsverteidiger und internationale Delegationen teil. Laut der Zeitung Evrensel erklärte Akin Atalay, der Anwalt von Selek, dass dieselbe Person nicht zweimal wegen derselben Straftat angeklagt werden könne und dass der Fall eingestellt werden sollte. Die Pressemitteilung, die vor der Anhörung vor dem Gerichtsgebäude abgegeben werden sollte, wurde aufgrund des Verbots durch das Büro des Gouverneurs von der Polizei interveniert.
Chronologie des Falles Pınar Selek
Zwei Tage nach der Explosion am 9. Juli 1998 wurde die Soziologin Pınar Selek von der Polizei der Anti-Terror-Abteilung festgenommen. Ihre Inhaftierung stand jedoch nicht im Zusammenhang mit der Explosion. Selek, die auf Anweisung des Staatssicherheitsgerichts sieben Tage inhaftiert war, durfte sich während dieses Prozesses nicht mit ihren Anwälten und Verwandten treffen. Den forensischen Berichten zufolge wurde ihre Aussage mit Folter wie Strappado und Elektroschocks aufgenommen. Selek musste nach sieben Tagen schwerer Folter aussagen. Sie wurde vom Richter unter Berücksichtigung der Aussagen, die sie unter Folter gemacht hatte, inhaftiert.
Im Einklang mit diesen unter Folter gemachten Aussagen wurde eine neue Klage gegen Selek eingereicht. Die beiden Verfahren gegen die Soziologin wurden 1999 zusammengeführt. Selek erfuhr ironischerweise im Fernsehen, dass sie im Gefängnis wegen der Explosion des Gewürzbasars angeklagt werden würde.
In dem von drei Experten im Jahr 2000 erstellten Bericht wurde jedoch registriert, dass es sich bei der Explosion definitiv nicht um eine Bombe, sondern um ein Gasleck handelte. Selek wurde erstmals 2006 von allen Anklagepunkten freigesprochen. Nach ihrem ersten Freispruch wurden mehrere Verfahren wegen derselben Anklagepunkte eröffnet. Obwohl Selek viermal freigesprochen wurde, wurden die Gerichtsentscheidungen jedes Mal aufgehoben. Der letzte Freispruch wurde 2022 aufgehoben. Pınar Selek verließ 2009 das Land und lebt seitdem in Frankreich.
Felix von Grünberg war bei dem Prozess gegen Selek in Istanbul anwesend, wo zahlreiche Beobachter und Beobachterinnen aus Europa, insbesondere Frankreich, das Land, in welchem Pınar Selek Zuflucht gefunden hatte, ebenfalls präsent waren. Grünberg betonte immer wieder, dass Pınar Selek’s Geständnis durch Folter erzwungen worden war und dass die Vorwürfe gegen sie bereits seit 25 Jahren wiederholt werden, trotz des Fehlens eindeutiger Beweise.
Ferne berichtete Grünberg ebenfalls, dass die Prozessbeobachtung sehr gut vorbereitet wurde und ca. 100 Teilnehmer:innen dabei waren. Grünberg zufolge zeige dieser Fall, dass die Türkei zunehmend demokratische Bewegungen und Aktivitäten, insbesondere im kurdisch geprägten Osten kriminalisiere und zum Zwecke der Unterdrückung oftmals zu juristischen Schikanen und Falschanschuldigungen greife.