Im Vorfeld der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2023 wurde die Zensur vom türkischen Staat gegenüber Regierungskritikern verschärft. Im World Report von Human Rights Watch vom Januar 2023 hieß es, dass Dissidenten vor den anstehenden Wahlen mit falschen Strafverfahren und Gefängnisstrafen ins Visier genommen worden seien. Die Auswirkungen dieser repressiven Maßnahmen auf die Medien zeigen sich in der zunehmenden Einschränkung der Berichterstattung, insbesondere nach dem Erdbeben Anfang Februar. Die NGO Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilte die Zensur zweier nach dem Erdbeben veröffentlichter Nachrichtenartikel und betrachtet diese Entscheidungen zwei Monate vor den Wahlen als neue Maßnahmen, um die Kritik am Umgang der Regierung mit den Folgen des Erdbebens zu unterdrücken. Der türkische Staat sperrte zwei Nachrichtenartikel mit der Begründung der Verletzung von Persönlichkeitsrechten von Unternehmen.
Eine der Entscheidungen, den Zugriff zu sperren, betraf den Artikel der Zeitung BirGün über den Verkauf von überschüssiger Kleidung für Erdbebenopfer. Der andere war der Bericht der unabhängigen Nachrichtenagentur ANKA über ein Wiederaufbauprojekt, das an regierungsnahe Unternehmen in Erdbebengebieten vergeben wurde. Darüber hinaus wurde nach Angaben von Journo, einer unabhängigen digitalen Plattform, der Zugang zu den Nachrichten von BirGün und Cumhuriyet, die populären oppositionelle Zeitungen sind, in den letzten drei Monaten am meisten blockiert. Journo stellt auch die EngelliWeb (Blocked Websites)-Meldungen des Vereins für Meinungsfreiheit zusammen. Die blockierten Nachrichtenartikel behandelten viele wichtige Themen wie Korruption, Drogenhandel, Gewalt gegen Frauen, Anschuldigungen gegen religiöse Orden und die düsteren Beziehungen der herrschenden Kreise. Eines der jüngsten Verbote der Behörden, das Gegenstand von ironischen Postings in den sozialen Medien geworden ist, war das Verbot des Zugriffs auf das EngelliWeb-Projekt, das Zugangsverbote für Websites, Nachrichtenberichte und Social-Media-Posts meldet.
Ein weiteres Verbot, das die Repressionen gegen freie Medien veranschaulicht, wurde gegen die Deutsche Welle (DW) verhängt. Nach der Weigerung des Ministeriums für Industrie und Technologie, die Betriebslizenz der DW zu verlängern, wurde bekannt gegeben, dass das Türkei-Büro der DW Ende März geschlossen wird. Die Lizenz von DW Turkish, die seit über einem Jahr blockiert wird, wurde nicht erneuert, weil sie “das Tätigkeitsfeld falsch gewählt” habe. Der Direktor von DW Turkish Erkan Arıkan, reagierte auf die Entscheidung wie folgt: “Die Entscheidung, den Verlängerungsantrag der DW abzulehnen und damit das türkische Büro zu schließen, ist ein Schlag gegen die Pressefreiheit”. Der Verband der zeitgenössischen Journalisten (ÇGD) wertete die Entscheidung als eine weitere Zunahme der Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit. Der Verband erklärte auch, dass viele Journalisten, die für internationale Medienorganisationen arbeiten, seit einiger Zeit ins Visier genommen werden.