Mithat Sancar (HDP) zu den rassistischen Angriffen: “Das Risiko einer Provokation ist groß” 

 

Mithat Sancar, Ko-Vorsitzender der oppositionellen Demokratische Partei der Völker (HDP) in der Türkei beantwortete in einem exklusiven Interview mit der Target Platform einige Fragen zu den rassistischen Angriffen auf den Fußballklub Amed SK.

Letztes Wochenende kam es zu einer Reihe von Angriffen auf den drittklassigen Fußballklub Amed SK aus der Millionenstadt Diyarbakir im Südosten der Türkei. Amed ist der kurdische Name der inoffiziellen Hauptstadt der Kurden und der Verein, der im Volksmund ‘Amedspor’ genannt wird, genießt innerhalb der kurdischen Bevölkerung im In- und Ausland große Popularität.

Am Tag vor dem Spiel gegen Bursaspor kam es bereits vor dem Hotel, wo das Team von Amedspor übernachtete, zu rassistisch motivierten Angriffen. Ein großer nationalistischer Mob versammelte sich vor dem Hotel und schoss unter nationalistischen Gesängen und Parolen mit Feuerwerk auf das Hotel. Die anwesende Polizei blieb lediglich als Zuschauer vor Ort. Am Tag danach war das Stadion wie ein Hexenkessel. Mit dem Auflaufen der Spieler von Amedspor auf das Spielfeld, entlud sich der ganze Hass eines ganzen Stadions inklusive Spieler und Verantwortliche des Vereins Bursaspor auf die gegnerische Mannschaft. Neben der Gewalt, Bedrohungen und Beleidigungen, wurden auch Poster und Transparente von Symbolen und Mördern der türkischen paramilitärischen JITEM aufgerollt, die in den 90er Jahren Tausende Kurden im Auftrag des türkischen Geheimdienstes und Teilen des Staates ermordete.

Die Empörung danach war groß, selbst Bundesminister Cem Özdemir verurteilte die rassistischen Angriffe und solidarisierte sich mit der Mannschaft. Doch innerhalb der türkischen Politik waren die Reaktionen verhalten. Der Koalitionspartner der türkischen Regierungspartei AKP, die rechtsextreme ‘Partei der nationalistischen Bewegung’ (MHP), solidarisierte sich mit Bursaspor und seinen Fans. Die örtliche MHP stattete dem Verein einen Besuch ab, während Devlet Bahçeli, der Chef der MHP, bei einem Parteitag die Existenz von ‘Amed’ leugnete und sagte, dass es kein ‘Amedspor’ mehr geben werde.

Mithat Sancar sprach mit Target über den Angriff und wies darauf hin, dass „die Situation im Hinblick auf die Wahlen am 14. Mai sehr gefährlich und fragil und das Risiko einer Provokation sehr groß ist”. Insbesondere von der Regierung gehe eine große Gefahr aus. Tatsächlich ist in der 20-jährigen Regierungszeit der islamisch-konservativen AKP zum ersten Mal eine Abwahl mehr als nur möglich. Die Inflation in der Türkei ist auf einem Rekordhoch und die ökonomische Lage verschlechtert sich von Tag zu Tag mehr. Hinzu kommt, dass das verheerende Erdbeben vom 6. Februar die politische und wirtschaftliche Krise im Land weiter verschärft hat. Viele halten die Regierung für die vielen Toten und die große Zerstörung, aufgrund einer verfehlten Baupolitik, für mitverantwortlich.

Sincar warnte vor bekannten Mustern vor den Wahlen und sagte, dass “man vielleicht mit dem Finger auf die Kurden und die PKK zeigen möchte, weil sie ein Gefühl der Unsicherheit im Land schaffen wollen.“

Sincar wies in seinen Aussagen gegenüber Target auch darauf hin, dass „Amedspor bereits 2016 gegen Bursaspor gespielt und aus dem Pokal geschmissen hat. Nach dem Match schickten sie einen Tweet, um den Sieg den kurdischen Kämpfern innerhalb der Mauern von Amed zu widmen, was die Menschen in Bursa verärgerte.“

Er erklärte auch im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen: „Die Kurden in der Türkei sind entweder sehr säkular oder sehr religiös, und die Religiösen wählen traditionell die AKP.“

Sancar erklärte, dass „nach dem (letzten) Spiel 9 Personen festgenommen, aber sofort freigelassen wurden“, und sagte: „Ich glaube nicht, dass es für all diese Gewalt Gerechtigkeit geben wird, aber es könnte eine Reaktion der UEFA oder der FIFA geben, indem sie Bursaspor bestrafen.“ Unterdessen verhängte der türkische Fußballverbund TFF gegen Bursaspor eine Strafe von 9 Heimspielen ohne Zuschauer sowie eine Geldstrafe von 326.000 TL. Bursaspor legte Revision gegen das Urteil ein.

Mithat Sancar ging zum Schluss auf die Äußerungen vom Chef der MHP ein und sagte, dass in der Türkei „die Kurden den Namen Amed für die Stadt Diyarbakir seit langem verwenden” und er betonte, dass Amed der älteste Name für die Stadt ist und einen assyrischen Ursprung hat. “Aber die Türken wissen das alles nicht und lehnen das Wort ‘Amed’ ab”, so Sincar.

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