Ein Augenzeuge zu Target: ʼʼSchickt kein Brot, Jindires ist zu einer Geisterstadt geworden“

Target Media Platform – Ahmed Katma

Ein Augenzeuge der einheimischen kurdischen Bevölkerung der Region Jindires, südwestlich von Afrin im Nordwesten Syriens, gab Einzelheiten über Ereignisse bekannt, die sich nach dem zerstörerischen Erdbeben am 6. Februar mit dem Epizentrum in Pazarcik/ Kahramanmaras ergeben haben.
Gegenüber Target berichtete der Augenzeuge: “Wir sind Bewohner von Jindires, aber wir wohnen derzeit in den umliegenden Dörfern, weil sich niemand mehr traut, zurückzukehren. Mein Schwiegersohn und seine Tochter starben bei dem Erdbeben, während wir meine Tochter und ihr Kind retten konnten.”
Die Stärke des Erdbebens im Epizentrum erreichte auf der Richterskala einen Wert von 7,8 und gilt als eines der stärksten Erdbeben, diep die Region in den letzten acht Jahrzehnten getroffen hat. Allein in der Türkei gab es bis zum Sonntagmorgen mehr als 24.000 Todesopfer.
Der Augenzeuge erzählte weiter: „In der Nacht des Erdbebens regnete es und wir, die Menschen, riefen nach den Überlebenden und als wir die Stimme von Verschütteten hörten, arbeiteten wir zusammen, um sie so schnell wie möglich zu retten. Angesichts des Mangels an technischen Möglichkeiten, starteten wir die Trümmer mit primitiven Mitteln zu entfernen. Später benutzte eine Gruppe von al-Sharqiya (bewaffnete Oppositionsfraktion aus der SNA, Anm.d.Red.) Bulldozer und entfernte die Trümmer, unter die ihre Verwandten waren, während wir darauf warteten, dass sie fertig wurden. Danach kamen sie und holten unsere Söhne heraus, aber sie waren bereits tot.“

Die Türkei besetzte die vorwiegend kurdische Region Afrin im Nordwesten Syriens, nachdem sie am 20. Januar 2018 eine Militäroperation namens „Olivenzweig“ gestartet hatte, die bis zum 18. März 2018 andauerte. Die syrischen Kurden sprechen von einem „heroischen Widerstand“, den ihre Kämpfer in 58 Tagen erbitterter Kämpfe leisteten, in denen die Luftwaffe den Kampf zugunsten der Türkei und der von ihr unterstützten syrischen Oppositionsfraktionen entschied.
Der Augenzeuge berichtete auch über diskriminierende Rettungseinsätze gegenüber den ursprünglichen Einwohnern von Jindires: „Jede Partei war auf dem Weg, ihre eigenen Verwandten zu retten. Es waren gute und schlechte Personen anwesend. Die schlechten Leute leisteten keine Hilfe und einige von ihnen schnappten sich unter Androhung von Waffengewalt die Bulldozer, womit sie ihre Verwandten retten wollten. Wir halfen einigen von ihnen, damit wir auch dran kommen konnten. Jeder war eingeschlossen“.
Bezüglich von Diebstählen und Plünderungen in Jindires sagte er, dass sie von Plünderungen gehört hätten, diese jedoch Personen waren, die erst später dort angesiedelt wurden und nicht zur ursprünglichen kurdischen Bevölkerung gehörten. “Hilfe kommt aus Gebieten, die nicht vom Erdbeben betroffen sind. Es gibt auch Araber die arm sind und keine Hilfe erhalten. Man kann sagen, dass die Hilfe bei denen ankommt, die das Sagen hier haben (bezogen auf die Bevorzugung der Familien von bewaffneten Gruppen, die Lebensmittelrationen für die Region erhalten, Anm.d.Red.)”.

Der Augenzeuge appellierte an die Spender und Hilfswilligen, die in Jindires helfen wollen, sie mit finanzieller Hilfe zu unterstützen, da der Rest der Hilfe sie in keiner Weise erreichen würde und erklärte, dass der beste Weg darin bestehe, eine Gruppe von “gewissenhaften” Menschen in Jindires zu unterstützen, damit diese den Betroffenen gerecht helfen können. Er fügte hinzu: „Schicken Sie kein Brot, Tee, Decken oder andere Materialien, denn unsere Menschen (Kurden der Region, Anm.d.Red.) erhalten davon nichts”.
Zu dem allgemeinen Zustand von Jindires und der Zerstörung der Stadt sagte er zu Target: „Man kann sagen, dass Jindires zu einer Geisterstadt geworden ist und ganze Familien Opfer des Erdbebens geworden sind. Was die Bausubstanz angeht, gibt es etwa 290 Gebäude im Zentrum von Jindires, von denen etwa 260 zerstört wurden, während der Rest beschädigt und somit unbewohnbar geworden ist.“
Er sprach weiter über die Opfer des Erdbebens im Zusammenhang mit der Bevölkerungsstruktur von Jindires. Die mehrheitlich kurdische Bevölkerung von der Region Afrin wurde beim türkischen Einmarsch 2018 zum Großteil vertrieben, wobei gleichzeitig Neuansiedlungen von zumeist Ortsfremden sowie Familien der bewaffneten Oppositionsgruppen stattgefunden hatten. Er sagte in Bezug auf Jindires: „Wir gehen davon aus, dass der Prozentsatz der Kurden vor dem Erdbeben 30 % betrug, während 70 % neu angesiedelt wurden. Ich glaube, dass am meisten Fremde aus der Region betroffen sind, die meist in Gebäuden wohnen, die nun größtenteils zerstört sind, während die Mehrheit der Kurden in Häusern lebt, die nach einem einfachen Muster gebaut sind”.
Er fügte hinzu: „Man kann sagen, dass der Anteil der Kurden in den mehrstöckigen Gebäuden (von denen die meisten zerstört sind oder abgerissen werden, Anm.d.Red.) zwischen 10 und 15 % liegt“. Weiter sagte er: “Wenn die Opferzahl der Kurden in Jindires bei etwa 500 bis 600 liegt, dann glaube ich, dass die Gesamtzahl der zivilen Opfer 3.000 erreichen kann, zumal die kurdischen Bewohner der mehrstöckigen Gebäude hauptsächlich aus kleinen Familien bestehen, wie z. B. frisch verheiratete Paare”.

Quellen der Target Media Platform in Jindires und anonyme Quellen gaben an, dass bewaffnete Männer, die die Bergungs- und Aufräumarbeiten überwachen, diese Katastrophe für Plünderungen und Raub ausnutzen würden und erzählten weiter: „ Die bewaffneten Männer und Siedler stehlen Schmuck und Geld von den Leichen der Opfer und aus ihren verlassenen Häusern“.

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