
Nach dem verheerenden Erdbeben vom 06. Februar 2023, das große Teile der Südosttürkei und Nordwestsyrien schwer getroffen hat, ist die humanitäre Hilfe zum dringenden und zugleich ernsthaften Problem für die betroffene syrische Bevölkerung geworden. Mehr als 20.000 Menschen wurden bei dem Erdbeben auf beiden Seiten der Grenze getötet, wobei die Zahl der Todesopfer voraussichtlich rapide ansteigen wird, da immer noch Tausende Zivilisten unter den Trümmern gefangen sind. In Syrien stieg unterdessen die Zahl der Erdbebenopfer auf 3.642 an, wobei das Gebiet von Jindires im Distrikt Afrin zu den am schwersten betroffenen Orten zählt.
Seit nun schon Tagen kommen kaum Hilfen im Land an. Die Diskussionen über Schnellreaktionsmaßnahmen und die rasche Bereitstellung von Hilfsgütern für die syrische Bevölkerung drehten sich vor allem um die Sanktionen, die gegen Syrien verhängt wurden. Doch erst vor kurzem kündigte die US-Regierung eine Lockerung der Sanktionen gegen Syrien an, um humanitäre Hilfe für die vom Erdbeben betroffenen Gebiete zu ermöglichen.
Das US-Finanzministerium erließ innerhalb der Office of Foreign Assets Control (OFAC) eine Generallizenz für Transaktionen, die ansonsten aufgrund der Sanktionen gegen den syrischen Staat, die 2019 mit dem sogenannten Caesar Act eingeführt wurden, verboten bleiben würden. Die Generallizenz soll für 180 Tage gültig bleiben, damit auch künftige Hilfen möglich bleiben können. Im ersten Schritt stellte die USA insgesamt rund 79 Millionen Euro für beide Länder zur Verfügung.
Bedran Jiya Kurd, Ko-Vorsitzender des Büros für Außenbeziehungen der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien, machte kürzlich auf die Problematik mit den Hilfsgütern aufmerksam und betonte dabei hat die Notwendigkeit, den Grenzübergang Tal Kocer/Al-Ya’rubiya an der syrisch-irakischen Grenze wieder zu öffnen, um den nordwestlichen Gebieten Syriens rasch Hilfe zu leisten. Die UN und mehrere europäische Staaten behaupten, dass es in Syrien nur eine offene Grenze geben würde und daher die humanitäre Hilfe für Syrien stocken würde. Doch gleichzeitig kontrolliert die Türkei im vom Erdbeben schwer getroffenen Nordwestsyrien überwiegend beide Seiten der Grenze, vor allem im besetzten Afrin im Norden Aleppos, und könnte daher theoretisch problemlos einen Korridor für die humanitäre Hilfe bis nach Aleppo oder Idlib ermöglichen. Gleichzeitig wird in den türkisch besetzten und kontrollierten Gebieten Syriens seit Tagen schon die Weiterfahrt von Hilfskonvois aus Nord- und Ostsyrien aus politischen Gründen, trotz der Notsituation, blockiert.
Ferner forderten 138 syrische Menschenrechtsorganisationen, darunter auch die Organisation ‘Syrians for truth and justice’, die Umsetzung einer nichtdiskriminierenden humanitären Hilfe, die bestimmte Gebiete nicht aus politischen Gründen von den Hilfslieferungen ausschließt.
Aufgrund der komplexen politischen und militärischen Situation in Syrien wurden Rettungsteams daran gehindert, in die betroffenen Gebiete einzudringen, die derzeit von verschiedenen Fraktionen und Einheiten kontrolliert werden. Dadurch war die Zivilbevölkerung gezwungen, humanitäre Selbsthilfe zu leisten. Schon die Verstreichung der lebenswichtigen ersten 72 Stunden kostete vermutlich unzähligen Menschen das Leben. Jede weitere Verzögerung der Hilfslieferungen gefährdet nun auch das Leben aller Zivilisten, die das Erdbeben überlebt haben und nun zu Millionen obdachlos in der Winterkälte sind.
Insbesondere die Regierungen Syriens und der Türkei, einschließlich der von Ankara unterstützten Oppositionsgruppen im besetzten Norden Syriens, tragen nun die Hauptverantwortung für die Erleichterung der Hilfslieferungen. Die internationale Gemeinschaft muss dringend Maßnahmen ergreifen, um die Wiedereröffnung humanitärer Grenzübergänge wie des syrisch-irakischen Grenzübergangs Tal Kocer/Al-Ya’rubiya zu beschleunigen, um Veruntreuung und Korruption zu verhindern und sicherzustellen, dass die notleidende syrische Zivilbevölkerung mit den notwendigen Hilfs- und Hilfsgütern versorgt wird.
