In Syrien ist die Sorge vor einer weiteren Verschärfung der ohnehin schon schlechten humanitären Situation groß. Während das Land durch den mehr als zehn Jahre andauernden Bürgerkrieg bereits zerrüttet ist, wird es durch die Auswirkungen und Folgen der Corona-Pandemie sowie des Krieges in der Ukraine zusätzlich belastet. Laut Angaben der Vereinten Nationen leben über 90% der Bevölkerung in extremer Armut und die Mehrheit ist von humanitärer Hilfe abhängig.
Doch genau diese Hilfe kommt in manchen Regionen des Landes gar nicht oder nur teilweise an. Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien beklagt seit Jahren eine Blockade der humanitären Hilfe. Im Norden grenzt die Region an die Türkei und die besetzten Gebiete, die unter der Kontrolle von syrischen Milizen stehen, die von der Türkei unterstützt werden. Durch die Türkei, die der Region offen feindlich gegenübersteht und seit Wochen bombardiert, kommen keine Hilfsgüter an. Im Süden grenzt die Region an Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden. Durch diese kommen humanitäre Hilfsgüter kaum oder nur vermindert an. Politiker der Selbstverwaltung kritisieren seit längerem diese Praxis der syrischen Regierung.
Im äußersten Osten der Region in der Stadt Til Koçer (arab. Al-Yaarubiyah) in der Provinz Al-Hasakah befindet sich der einzige Grenzübergang, durch die mit einem Beschluss der Vereinten Nationen von 2014 humanitäre Hilfe ankommen könnte. Doch der Grenzübergang an der irakischen Grenze ist seit 2020 durch ein Veto Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat geschlossen, so dass die Gewährleistung der humanitären Hilfe aktuell nur über die syrische Zentralregierung möglich ist.
Die Selbstverwaltung steht durch diese Blockadehaltung vor extremen Herausforderungen. Den Angaben des Büros für Flüchtlings- und Migrationsangelegenheiten der Selbstverwaltung nach leben über eine Million Flüchtlinge in der Region, die diese Hilfsgüter genauso wie die einheimische Bevölkerung dringend benötigen. Neben Nahrungsmittel fehlt es vor allem an Medikamenten, die auch für die aktuelle Cholera-Epidemie in der Region benötigt werden. Die Region ist daher größtenteils auf Selbstversorgung ausgerichtet, was durch die türkischen Aggressionen gegenüber ziviler und wirtschaftlicher Infrastruktur erschwert wird.
Bedran Ciya Kurd, Ko-Vorsitzender des Büros für Außenbeziehungen der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien, erklärte in einem Interview, dass die Fortsetzung der Schließung des Grenzübergangs bei Til Koçer an der irakischen Grenze eine deutliche Politisierung der humanitären Situation darstelle und eine mangelnde Gleichbehandlung von Syrien bezeuge.
Ciya Kurd bestätigte am Freitag bei einem Interview , dass die Entscheidung, den Grenzübergang durch ein russisch-chinesisches Veto zu schließen und den Grenzübergang Bab Al-Hawa hingegen zu öffnen, der diejenigen Gebiete miteinander verbindet, die von den von der Türkei gedeckten und unterstützten bewaffneten Milizen kontrolliert werden, einen rein politischen Aspekt habe. Daher fordere man eine Überprüfung dieser Entscheidung.
Ciya Kurd betonte ferner, dass die Entscheidung, den Grenzübergang Tel Koçer zu schließen, eine Ungerechtigkeit gegenüber Millionen von Menschen darstellt, die in Nord- und Ostsyrien leben, sowohl gegenüber der einheimischen Bevölkerung als auch gegenüber denjenigen, die sich aus anderen Teilen Syriens in diesen Gebieten niedergelassen haben.
Als Ko-Vorsitzender des Büros für Außenbeziehungen der Selbstverwaltung rief er dazu auf, grenzüberschreitende Unterstützungsmechanismen zu schaffen, um alle Syrer zu erreichen, und betonte, dass die Vorstellung der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien hinsichtlich der Frage der Öffnung humanitärer Grenzübergänge tatsächlich eine allgemeine Vision ist, wenn man über das Leiden und die Not der Syrer im Allgemeinen nachdenkt.