Badran Jiya Kurd: Die Bedrohung durch den IS wird jeden Tag größer

Die Präsenz von zehntausenden Mitgliedern und Angehörigen der Terrororganisation IS in den Gefängnissen und Camps unter der Leitung der SDF und der Aufsicht der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien, wird als die schwierigste Herausforderung seit der militärischen Niederlage des IS in 2019 erachtet.

Die Autonome Administration rief die internationale Gemeinschaft mehrmals dazu auf, dauerhafte Lösungen für dieses Dilemma zu finden und langfristige Strategien zu entwickeln. Außerdem warnte die Autonome Administration angesichts der kaum vorhandenen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft wiederholt vor einer Wiederbelebung der Terrororganisation IS. Die steigende Gefahr durch den IS zielt in erster Linie darauf, ihre Gefangenen und Familien zu befreien, damit eine erneute Kontrolle der Region ermöglicht werden kann.

Während eines exklusiven Interviews mit dem Ko-Vorsitzenden der  Außenbeauftragter der Selbstverwaltung von Nord und -Ostsyriens, Badran Jiya Kurd, stellte die Target Media Platform einige Fragen über die fortdauernde Präsenz von IS-Mitgliedern und ihren Familien in den Haftanstalten und Camps in Nord- und Ostsyrien sowie die Auswirkungen des russisch-ukrainischen Krieges auf die Region und den Kampf gegen Terrorismus

Der folgende Text ist das Interview der Target Platform mit Badran Jiyan Kurd in voller Länge:

Target: Wie bewerten Sie die andauernde Präsenz von IS-Mitgliedern und ihren Familien in den Haftanstalten und Camps in Anbetracht der weiterhin fehlenden internationalen Lösungen für dieses Problem?

Das nicht gelöste Schicksal von tausenden IS-Militanten in den Gefängnissen der Autonomen Administration und von tausende von Familienangehörigen im Al-Hol-Camp und Roj Camp stellen eine große Gefahr für die Sicherheit und Stabilität in der Welt und in der Region dar. Die internationale Gemeinschaft und die internationale Koalition gegen den IS haben ihre Pflichten und ihre Verantwortung gegenüber den Gefangenen des IS und ihrer Familien nicht erfüllt. Aus unserer Sicht erfordert die Fortführung des Kampfes gegen diese Organisation Lösungen, die darauf abzielen, ihre Mitglieder unter der Heranziehung eines internationalen Gerichtshofs auf unserem Boden gesetzlich zur Rechenschaft ziehen zu können. Außerdem muss für die Rehabilitierung ein positives Klima geschaffen werden, in dem Kinder und Frauen wieder in die Gesellschaft integriert werden können.

Bislang hat das nicht funktioniert, was zur Folge hat, dass die Camps und die Gefängnisse weiter zu zentralen Orten werden, in der der IS rekonstruiert wird, sich neu organisiert und weiter seine Ideologie verbreiten kann. Ferner werden Kinder dazu verdammt in den Armen ihrer oft extremistischen Müttern aufzuwachsen und somit eine neue Generation des IS aufzuziehen. Mit der stetigen Fortführung von diesem Prozess, steigt auch die permanente Gefahr des Terrorismus in der Region. Darum fordert die Autonome Administration seit Jahren schon Lösungen für dieses Problem, das die Kapazitäten und Möglichkeiten der Autonomen Administration übersteigt. Das gilt genauso für die Verurteilung von ausländischen IS-Mitgliedern als auch für die Sicherstellung der Sicherheit in den Camps sowie für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch das Errichten von speziellen Zentren.

Target: Was ist denn in der Thematik der IS-Gefangen die geeignetste Lösung für Nord- und Ostsyrien?

Angesichts dieser Thematik haben wir von der internationalen Gemeinschaft noch keine positiven Ansätze gesehen. Wir haben kürzlich miterlebt, wie Vertreter einiger Staaten zu Besuch kamen, um ihre Staatsbürger, die mit dem IS in Verbindung stehen, in ihre Länder zurückzuführen. Jedenfalls ist das nicht genug, um dieses Problem zu lösen. Sporadische Rückführungen von Frauen und Kindern, die zum IS gehören, werden sicherlich nicht ausreichen, wenn gleichzeitig tausende Inhaftierte der Organisation für Jahre noch in den Camps und Gefängnissen einsitzen müssen, während die internationale Gemeinschaft dabei die Thematik weiterhin ignoriert und die Attacken des IS in der Region steigen. Die Situation in der Region verschlimmert sich stetig und der IS versucht auch, sich wiederzubeleben. Das ultimative Ziel ist die Freilassung der inhaftierten Mitglieder und ihrer Familien, wie zum Beispiel durch Angriffe auf das Al-Sinaa-Gefängnis, damit die militärische Stärke wiederhergestellt und die Region von neu kontrolliert werden kann.

Der IS hat auch ähnliche Pläne für das Al-Hol-Camp, so dass die Bedrohung durch den IS für die Region und für die Welt mit jedem weiteren Tag weitergeht. Daher muss für die ordentliche Bekämpfung des Terrorismus ein facettenreicher Plan ausgearbeitet werden, bei der der Autonomen Administration politische Unterstützung geboten und die militärische sowie sicherheitstechnische Unterstützung erweitert wird. Außerdem muss auch aus humanitärer Sicht die Wirtschaft und das Alltagsleben unterstützt werden, damit der IS die Missstände und die Not der Menschen nicht ausnutzen kann.
Diese Aspekte werden bei der Bekämpfung des Terrorismus als problematische Themen betrachtet, doch unglücklicherweise ist die gebotene Unterstützung auf die militärischen Fronten beschränkt, so dass die Absicht der Auslöschung des IS nicht wirklich vollzogen werden kann. Daher erneuern wir in der Autonomen Administration unseren Aufruf an die Internationale Gemeinschaft diesbezüglich Strategien auszuarbeiten, so dass die Internationale Koalition und ihre Partner den IS wirklich auslöschen können.

Target: Einige Staaten haben kürzlich ihre Staatsbürger zurückgebracht, die in den Camps der Autonomen Administration leben. Was ist Ihre Meinung dazu?

Bezüglich der Rückführung von Frauen und Kindern der IS-Mitglieder sind wir als Autonome Administration jederzeit dazu bereit mit jedem Land zu kooperieren, die diesen Willen ausdrückt. Diesbezüglich haben wir keine Probleme, sagen jedoch, dass damit allein noch nichts gelöst ist. Stattdessen muss ein allumfassender Plan ausgearbeitet werden, damit der Terror für immer verschwindet.

Target: Wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf die Region von Nord- und Ostsyrien aus, vor allem im Hinblick auf die Terrorbekämpfung und den IS?

Nach unserer Betrachtung ist im Folge der Entwicklung des russisch-ukrainischen Kriegs die internationale Aufmerksamkeit komplett auf diesen Krieg gerückt. Wir wollen jedoch nicht, dass unsere Region deswegen nicht beachtet und marginalisiert wird. Nord- und Ostsyrien ist zu einem Zentrum der Terrorismusbekämpfung geworden und nur in diesem Kontext konnte das sogenannte Kalifat im Irak und in der Levante geografisch eliminiert werden. Daher birgt die Missachtung und Marginalisierung dieser Region die große Gefahr, dass diese Terrororganisation wiederbelebt werden und nicht nur für die Region, sondern auch erneut für die ganze Welt eine Bedrohung darstellen könnte. So erfordert es der internationalen Gemeinschaft eine spezielle Strategie und Politik gegenüber unserer Region zu entwickeln, da jegliche Missachtung eine große Gefahr für die Welt darstellen würde.

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