Die syrische Organisation “Syrians for truth and justice” (STJ) deckte kürzlich ein illegales Siedlungsprojekt in dem unter türkischer Besatzung stehenden Distrikt Jindires bei Afrin auf und veröffentlichte diesbezüglich einen mehrseitigen Bericht. An dem Projekt sind drei humanitäre Hilfsorganisationen, die türkische Besatzungsmacht sowie eine von der Türkei unterstützte syrische oppositionelle Miliz beteiligt.
Übereinkunft einer Hilfsorganisation mit bewaffneter syrischen Miliz
Unter dem “Ihsan Relief and Development”-Programm der humanitären Organisation “Syrian Forum” begann das Siedlungsprojekt ein Jahr nach der militärischen Besatzung der Region Afrin im Jahre 2018 durch die Türkei. Satellitenbilder belegen, wie an einem Berghang bei der Ortschaft Kafr Safra 2019 hunderte Bäume für das Siedlungsprojekt gefällt wurden. Die “Ihsan”-Organisation traf im Einklang mit dem Stadtrat von Afrin, der inoffiziell unter der Aufsicht des türkischen Gouverneurs von Hatay Rahmi Dogan steht, eine Übereinkunft mit der syrischen oppositionellen Miliz ‘Samarkand Brigade’, die von der Türkei militärisch und politisch unterstützt wird.
Die berüchtigte Samarkand-Brigade
Die ‘Samarkand Brigade’ verwaltet unter türkischer Führung die Gegend um Kafr Safra und Jindires. Sie wurde 2016 unter der Führung von Wael Mousa gegründet und besteht hauptsächlich aus Kämpfern einer Gegend Idlibs. Die Miliz steht hochgradig unter türkischem Einfluss und Kommando. Neben den 600 türkischen Lira, die die Kämpfer monatlich von der türkischen Regierung erhalten sollen, kämpften Einheiten dieser Miliz auch in Libyen und in Aserbaidschan als Söldner. In einem Bericht zu Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten, welcher dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorliegt, heißt es, dass die Miliz für den Einsatz von drei syrischen Kindern in Libyen verantwortlich ist. Die Samarkand Brigade ist auch für zahlreiche Verbrechen in Jindires verantwortlich. Das illegale Fällen von tausenden Bäumen, willkürliche Verhaftungen, Erpressung, Besitznahme von fremdem Eigentum oder das Plündern von zivilem Eigentum gehören unter anderem dazu.
Häuser für die Kämpfer & Auswahl von Familien
Die “Ihsan” – Organisation verständigte sich mit dieser berüchtigten Miliz für den Bau der illegalen Siedlung, bei der die Miliz für einen störungsfreien Ablauf des Projektes sorgen und im Gegenzug mit Hauseigentum begünstigt werden sollte. So sollen jetzt laut einem am Projekt beteiligten Planer mindestens 40 der gebauten 247 Häuser an Kämpfer der Samarkand Brigade und ihren Familien übergeben worden sein. Die “Ihsan”-Organisation ist demnach auch zuständig für die Vergabe der Wohnungen und Häuser, bei denen auch Familien von Kämpfern anderer bewaffneter Fraktionen begünstigt wurden. Im August seien bereits die Hälfte der ausgewählten Familien, die zumeist aus Vertriebenen aus Aleppo und Idlib bestehen, in die illegale Siedlung eingezogen.
Herrschaft über die Siedlung
Zwar sind die meisten Neubewohner Binnenvertriebene, doch die Samarkand Brigade bestimmt laut einem Bewohner über die Siedlung. Mit der Sicherheit der Siedlung sei die Miliz beauftragt worden und diese würden auch willkürlich handeln, so z.B. bei der Vergabe der humanitären Hilfe oder durch ständige Sicherheitsüberprüfungen der restlichen Bewohner. Die Siedlung umfasst in der Gesamtgröße zwischen 16-20 ha, was etwa 25 größeren Fußballfeldern entspricht. Die Siedlung umfasst neben den Wohnhäusern eine Moschee, eine Koranschule, eine Schule, einen Kindergarten, eine medizinische Einrichtung, mehrere kleine Geschäfte sowie kleine Gärten, einen Wasserbrunnen, gepflasterte Straßen und Schotterwege.
Kuwait als Geldgeber
Die “al-Sham Humanitarian Foundation” finanzierte den Bau der Moschee und der Koranschule. Die Koranschule, die nach dem kuwaitischen Spender Ayad Askar al-Anzi benannt wurde, wird von der kuwaitischen “Rahma International Society” beaufsichtigt und geleitet. Der kuwaitische Staat ist der hauptsächliche Geld- und Auftraggeber dieser Organisation, die auch die “al-Sham Humanitarian Foundation” kontrolliert. Alle beteiligten Organisationen sind als humanitäre Hilfsorganisationen registriert, “Ihsan Relief and Development” sowie die “al-Sham Humanitarian Foundation” in der Türkei und die “Rahma International Society” in Kuwait.
Die Rolle des Stadtrats von Afrin
Die STJ machte darüber hinaus im Bericht auf die Rolle des “Afrin City Local Council” (ACLC), des Stadtrats Afrins, aufmerksam. Dieser hätte, wie auch bei anderen Siedlungen, die Lizenz zum Bau erteilt. Der Stadtrat sei das Bindeglied zwischen der “Ihsan”-Organisation und dem Office des türkischen Gouverneurs von Hatay, der im besetzten Afrin zugleich den defacto Gouverneur stellt. Im Namen und Auftrag des Gouverneurs soll der ACLC der “Ihsan”-Organisation Orte für die Siedlungen vorgeschlagen und ihre Arbeit erleichtert haben.
Rolle der Besatzungsmacht Türkei
Die Türkei stellt in Afrin seit 2018 eine Besatzungsmacht dar und ist damit laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags auch für die Einhaltung aller humanitären Richtlinien zuständig, so wie es die Regularien der Vereinten Nationen vorsehen. Afrin ist inoffiziell unter der Führung des türkischen Gouverneurs von Hatay Rahmi Dogan, der laut Aussagen von einigen Ratsmitgliedern für jeden der sieben Distrikte Afrins einen Gesandten hat. Der Siedlungsbau sei dabei direkt dem Gouverneur selbst unterstellt. Obwohl offiziell die Abgeordneten des Stadtrats der syrischen Übergangsregierung unterstehen würden, würden praktisch alle die Anweisungen aus Hatay erhalten. Sie würden darüber hinaus Gehälter aus der Türkei und auch von Katar erhalten. Ein Mitarbeiter der “Ihsan”-Organisation bestätigte die kostenfreie Lizenzvergabe und Garantien durch den ACLC, obwohl Menschen aus Kafr Safra dagegen protestiert hätten. Die STJ merkte an, dass die ACLC aber öffentlich kein Wort über die illegale Siedlung verlor.
Vereinbarkeit mit syrischem und internationalem Recht
Zum Schluss des Berichts überprüft die STJ die Vereinbarkeit der Siedlung mit dem syrischen und dem internationalen Recht. Im Ergebnis verstoßen alle Beteiligten, ungeachtet eines Status als Hilfsorganisation, gegen mehrere Gesetze des syrischen Rechts. Auch im internationalen Recht würde eine Klassifikation als humanitäre Hilfsorganisationen nicht dazu ausreichen, das Gesetz eines Landes einfach zu brechen. Darüber hinaus sei es in diesem Fall klar, dass durch die Begünstigung der “Samarkand Brigade” als bewaffnete Konfliktpartei humanitäre Prinzipien gebrochen werden. Dadurch werde der Zugang der humanitären Hilfe für Zivilisten verwehrt. Die hier beteiligten Hilfsorganisationen könnten auch selbst Verbrechen begehen, da sie durch die Neuansiedlung von anderen Bevölkerungsgruppen und der Nichtberücksichtigung der vertriebenen einheimischen Bevölkerung zum erzwungenen demografischen Wandel beitragen. Als Besatzungsmacht trage die Türkei laut den Genfer Konvention die ganze Verantwortung für die Vorkommnisse in Afrin. Im Ergebnis verfehle die Türkei viele ihrer Pflichten aus der Genfer Konvention und verstoße gegen einige Artikel.
Indirekte Beteiligung der UN und von NGOs am erzwungenem Demografie Wandel
Der neue Bericht der STJ beweist erneut, dass der türkische Staat durch die Hilfe ihrer syrischen Handlanger im vormals kurdisch geprägten Afrin eine demografische Veränderung herbeiführen will. In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags war davon bereits die Rede. Die Türkei verstößt damit als Besatzungsmacht klar gegen die Genfer Konvention und begeht somit ein öffentliches Kriegsverbrechen. Neun solcher Siedlungen sind bislang in Afrin bekannt und die meisten davon, wie in diesem Fall dokumentiert. Der eigentliche Skandal ist aber, dass die UN und andere bekannte NGO’s diese Bevölkerungsverschiebung indirekt unterstützt. Die in diesem Bericht aufgeführten Hilfsorganisationen waren auch schon an anderen Siedlungsprojekten in Afrin beteiligt und führen auf ihren Homepages UN-Einrichtungen wie die UNICEF, UNFPA und das World Food Programme sowie weltweit bekannte NGO’s wie Save the Children, Welthungerhilfe oder die im Auftrag der Bundesregierung Deutschlands agierende Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (giz) als Partner auf. Die internationale Gemeinschaft und die Hilfsorganisation dürfen sich nicht an der türkischen Besatzungspolitik beteiligen und müssen bei der Gestaltung der humanitären Hilfe die einheimische Bevölkerung berücksichtigen. Das Recht zur Wiederkehr der vertriebenen Bevölkerung Afrins muss im Sinne des humanitären Völkerrechts gewahrt und gewährt werden.