Warum droht Erdogan immer wieder Griechenland und wird Europa reagieren?


Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte am Samstag  am Rande eines Technologie- und Rüstungsfestival im türkischen Samsun erneut Griechenland. In den letzten Jahren verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarstaaten und NATO-Mitgliedern immer mehr.

“Wir wären schlimmer dran als die Ukraine oder Syrien”

Erdogan schlug bei seiner Rede nationalistische Töne an und deutete erneut auf äußere Mächte, die der Freiheit und der Zukunft der Türkei im Weg stehen würden. Mit Beispielen aus der türkischen Historie und einem türkischen Sprichwort, wonach jeder irgendwann seine gerechte Strafe bekommen würde, heizte er die euphorisierten Mengen an.

Der türkische Präsident lobte in einem großen Teil der Rede die türkische Rüstungsindustrie und verwies darauf, dass seit der Machtübernahme seiner Partei, die Türkei die Verteidigung mit nun 80% statt damals 20% aus nationaler Rüstungsproduktion begleiche. Die Türkei müsse in einer solchen Region und auf dem Erbe ihrer Geschichte stets stark sein. Er fügte mit Blick auf die sogenannten ‘Außenmächte’ hinzu, dass es ihnen ansonsten schlimmer ergehen würde, als der Ukraine, Syrien oder Bosnien. Die Rhetorik der Außenmächte, die die Türkei bedrohen würden, ist inzwischen ein beliebter Bestandteil der türkischen Regierungspolitik und – propaganda.

“Wir sind weltweit zweiter beim Wirtschaftswachstum”

Erdogan bemerkte auch an, dass die Türkei beim wirtschaftlichen Wachstum mit 7,6% im letzten Quartal weltweit den zweiten Platz belegen würde. Doch inzwischen glauben auch immer mehr Menschen in der Türkei den offiziellen Zahlen nicht, denn die Türkei erlebt derzeit eine der schwersten Wirtschaftskrisen ihrer Geschichte. Den offiziellen Angaben nach beträgt die Inflation aktuell rekordverdächtige knappe 80%, Kritiker und Wirtschaftsexperten sehen hingegen die Inflation bei ungefähr 150%. Die türkische Lira verliert gleichzeitig immer mehr an Wert, während der türkische Präsident weiterhin an einer fragwürdigen Zinspolitik festhält. Der Alltag wird für viele Menschen zur Mammutaufgabe und die Unzufriedenheit mit der Regierung wächst.

Militarismus als innere Krisenbewältigung

Doch die seit knapp 20 Jahren regierende islamisch-konservative AKP hat auch schon genug Erfahrung gesammelt, um die sinkenden Wählerstimmen aufzufangen. In Zeiten der inneren Krise setzt die türkische Regierung immer wieder auf Militarismus und Nationalismus. Türkische Militäroperationen der Vergangenheit in Nordsyrien und im Nordirak hatten oft auch wahltaktische Gründe. Dass mit Ausnahme der linken prokurdischen Partei HDP, deren Mitglieder und amtliche Vertreter zu tausenden in Haft sitzen, alle größeren Oppositionsparteien stets diese Vorhaben der Regierung unterstützten, beweist, dass Militarismus beim Großteil der türkischen Bevölkerung funktioniert.

Nun wird diese Rhetorik verstärkt auch beim Nachbarland Griechenland angewandt und es ist nicht abzuschätzen, ob es bei der Kriegsrhetorik bleibt oder die Türkei aus den Drohungen ernste Sache macht.

“Freund oder Feind? Die USA senden Griechenland Waffen”

Erdogan fuhr fort und machte die Regierungen vor ihm sowie die islamische Gülen-Sekte für den stockenden Wohlstand in der Türkei verantwortlich. Die Türkei stuft die als ‘FETÖ’ bezeichnete Gruppierung um den islamischen Prediger Fethullah Gülen als Terrororganisation ein und beschuldigt sie, den gescheiterten Militärputsch im Jahre 2016 geplant zu haben. Gülen, der seit Jahrzehnten in den USA lebt, gilt jedoch auch als Wegbereiter von Erdogan und seine islamische Bewegung war jahrelang fester Bestandteil der Partei Erdogans. Erdogan sagte mit Blick auf Gülen und die USA: “Wo ist er jetzt? In Pennsylvania. Wessen Zögling ist er? Von den USA. Wir müssen genau gucken, wer unser Freund ist und wer gegen uns steht. Senden diese USA nun Alexandroupolis, Griechenland diese Waffen und die Flugzeuge oder nicht?”

Es ist nicht das erste Mal, dass Erdogan mit solcher Rhetorik gegen die USA auftritt. Die Türkei möchte erneut in Nordsyrien einmarschieren und unter anderem gegen die militärischen Verbündeten der USA dort vorgehen. Anders als bei den Invasionen zuvor in Nordsyrien, ist die USA bislang nicht gewollt, der Türkei dieses Einverständnis zu geben. Die Türkei verfolgt in der Region und auch im Ukrainekrieg eine eigene politische Agenda, die sich nicht mit den amerikanischen Interessen deckt. Die Türkei ist das einzige NATO-Mitglied, das weiterhin gute Beziehungen zu Russland pflegt und hat auch seine Beziehungen mit Russland in den letzten Jahren intensiviert.

Grieche, schau auf die Geschichte und pass auf!

Nach seinem Angriff auf die USA, erhöhte Erdogan seinen Ton und drohte mit einem historischen Vergleich Griechenland: “Droht Griechenland uns mit den S-300 oder nicht? Grieche, schau genau auf die Geschichte, gehe zurück in der Zeit. Wenn du so weitermachst, wirst du dafür teuer bezahlen, sehr teuer. Wir haben Griechenland nur folgendes zu sagen: Vergiss nicht, was mit İzmir passiert ist!” Izmir ist heute die drittgrößte Stadt der Türkei und steht als ehemalige griechische Stadt Smyrna für den Niedergang des Griechentums in Kleinasien. Am 9. September jährt sich der Einmarsch von türkischen Truppen in İzmir zum hundertsten Mal. Die Türkei droht immer wieder Griechenland, aber dass der Ton derart erhärtet wurde, gab es selten. Erdogan führte fort und sagte:

“Dass ihr die Inseln besetzt hält, bindet uns nicht die Hände. Wenn die Zeit gekommen ist, tun wir das Nötige. Wir sagen ja gerne, dass wir in einer Nacht plötzlich da sind. Die, die uns gestern noch Fesseln an unsere Füße gelegt haben, damit wir nicht weiterkommen, warten nur auf die Gelegenheit. Der Kampf wird schwer, es wird viel von euch abverlangen und wir werden Vieles verlieren, doch seid euch sicher, dass der Erfolg am Ende uns allen Glück, Frieden und Wohlstand bringen wird.”

Aberkennung der griechischen Souveränität über Inseln und die Misak-ı Milli

Die Türkei betrachtet einige Insel in der Ägäis als ihr Territorium, obwohl diese nach dem Ersten Weltkrieg Griechenland zugesprochen wurden. In türkischen Politshows zeigen Politiker der Regierungspartei AKP oder ihr nahestehenden Journalisten immer wieder Karten mit den zu errichtenden Grenzen einer neuen Türkei, die den Grenzen der ‘Misak-ı Milli’ entsprechen. Die sogenannte “Misak-ı Milli” bezeichnet den Nationalpakt der türkischen Unabhängigkeitsbewegung nach dem Ersten Weltkrieg, bei dem die zukünftigen Grenzen der zu errichtenden türkischen Republik festgelegt wurden. Dazu gehörten im Süden der komplette Norden Syriens sowie auch der Nordirak. Nach dem türkischen Unabhängigkeitskrieg und dem Vertrag von Lausanne jedoch, wurden diese Grenzen revidiert und die Grenzen der heutigen Türkei festgelegt. Die “Misak-ı Milli” ist zum wichtigen Eckpfeiler der türkischen Außenpolitik geworden und auch Erdogan machte diese Ansprüche mehrmals öffentlich.

Auf den Karten kann man sehen, dass neben bedeutenden Teilen Nordsyriens und Nordiraks, die die Türkei bereits besetzt hält oder dort militärisch aktiv ist, auch mehrere griechische Inseln eingezeichnet sind. Vor allem die Inseln Lesbos, Samos, Chios, Ikaria und die die Insel Rhodos umfassenden Dodekanes-Inseln werden von der Türkei beansprucht. Die Türkei pocht in erster Linie auf die Entmilitarisierung dieser Inseln, so wie sie im Vertrag von Lausanne 1923 geregelt sein sollen. Schon im Juni hatte Erdogan mit dieser Begründung Griechenland gedroht. Griechenland äußert jedoch Sicherheitsbedenken, da ihrer Ansicht nach die hochgerüstete Türkei eine ernsthafte Bedrohung für Griechenland darstelle. Die Türkei verletzt immer wieder mit türkischen Kampfjets den griechischen Luftraum. Am 23. August soll laut türkischer Version Griechenlands Luftabwehrsystem türkische Kampfflugzeuge kurzzeitig ins Visier genommen haben, was zur weiteren Eskalation führte.

Griechische Reaktion zurückhaltend

Griechenland warnt den Westen schon lange vor einer Partnerschaft mit der Türkei.  Zuletzt warnte der griechische Regierungschef Mitsotakis bei einer Rede vor dem US-Kongress, die Amerikaner vor Rüstungsgeschäften mit der Türkei. Erdogan sagte daraufhin, dass Mitsotakis für ihn gestorben sei. Bei der neuerlichen Wutrede Erdogans reagierte Athen zurückhaltend. Das Außenministerium kommentierte, dass man nicht mit derselben Rhetorik antworten werde. Stattdessen wurde bei der EU, der NATO und dem UN wegen den Drohungen Beschwerde eingelegt.

Wird Europa reagieren?

Ob die Beschwerden erfolgreich sein werden, ist fraglich. Zwar positionierte sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock kürzlich auf der Seite Griechenlands bei dem Konflikt, aber ihr türkisches Gegenüber Mevlüt Cavusoglu ließ diese Reaktion kalt. Stattdessen erhärtete Erdogan sogar seinen Ton. Für ihn lautete bei der Rede die Frage nicht ob, sondern wann es geschehen wird. Ob es bloße Rhetorik bleibt, ist nicht abzuschätzen. Die NATO versucht bei dem Konflikt die Türkei nicht zu verärgern. Schon bei der Aufnahme von Schweden und Finnland zeigte die NATO ihre Kompromissbereitschaft gegenüber einem Land, das eine eigene Linie verfolgt. Langfristig könnte sich diese Strategie rächen. Die Türkei rüstet weiter massiv auf und verfolgt konsequent ihre eigene politische Agenda. Trotz den klaren Worten reagierte die europäische Politik kaum auf die türkischen Drohgebärden. Es scheint zwar unwahrscheinlich, dass die Türkei einen NATO-Partner und EU-Land angreift, doch auszuschließen ist es bei diesem militärischen Aggressionspotential nicht.

Fest steht, dass die Türkei ihre historische Feindschaft zu Griechenland wieder präsent gemacht hat und es zu einer neuen Drohkulisse gekommen ist. Dass die EU bei der Bedrohung eines Mitgliedslandes mit Gleichgültigkeit reagiert, müsste eigentlich zum Skandal in der europäischen Sicherheitspolitik werden. Daher ist es verwunderlich, wieso die Öffentlichkeit dennoch derart leise ist.

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